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DIE AUTOREN

VORWORT

BUCH: Pascal Beucker/Frank Überall: "Endstation Rücktritt!?" 
Pascal Beucker / Frank Überall:

Endstation Rücktritt !?
Warum deutsche Politiker einpacken

AKTUALISIERTE & ÜBERARBEITETE NEUAUSGABE


VORWORT: Sag' beim Abschied leise Servus

Die letzten Arbeiten für dieses Buch standen kurz vor dem Abschluss, da sorgte schon wieder ein Rücktritt für Aufsehen: Christian von Boetticher, Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein, stürzt über die Liaison mit einem minderjährigen Teenager. „Ja, es ist wahr, ich hatte mich im Frühjahr 2010 in eine junge Frau verliebt und bin mit ihr mehrere Monate zusammen gewesen“, gesteht der designierte CDU-Spitzenkandidat für die anstehende Landtagswahl Mitte August 2011 unter Tränen ein. Seine „sehr ungewöhnliche Liebe“ zu der damals 16-Jährigen sei „zwar rechtlich legal, trifft aber bei vielen Menschen auf verständliche moralische Vorbehalte“. Er habe „keinen privaten, wohl aber den politischen Fehler gemacht“.

Der Fall zeigt, dass nicht alles, was legal, auch für einen Politiker erlaubt ist. Er unterliegt anderen Maßstäben, und zwar nicht zuletzt denen jener, deren Stimmen er gewinnen will. Die Liebelei von Boettichers stand in einem allzu großen Widerspruch zu den Moral- und Wertvorstellungen der christlich-konservativen Wählerklientel der Union. Wäre er Mitglied der Grünen, hätten sich deren Anhänger wohl mehr daran gerieben, dass er Alter Herr einer pflichtschlagenden Studentenverbindung ist.

Wer sich mit der Geschichte des Politikerrücktritts in der Bundesrepublik beschäftigt, stößt immer wieder auf vergleichbare Beispiele, in denen das Private politisch geworden ist. Demissionen sind zugleich Indikatoren für gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Konventionen ändern sich. Was in den sechziger Jahren als Rücktrittsgrund galt, ist mitunter heutzutage nicht einmal mehr eine Kurzmeldung wert. Dass damals ein sozialdemokratischer Erster Bürgermeister Hamburgs sich zum Abtritt gezwungen sah, nachdem die Trennung von seiner Frau öffentlich wurde, ist inzwischen kaum mehr vorstellbar. Gut möglich, dass in ein paar Jahren auch die Beziehung eines Christdemokraten zu einer 16-Jährigen keinen Anstoß mehr erregt.

Eine Kontinuität dürfte jedoch bleiben: Die Verquickung von Amt und Privatinteressen war und ist der häufigste Grund für den Rücktritt eines Politikers. So unerfreulich sie sind, machen die entsprechenden Fälle allerdings nur ein Kapitel von vielen in diesem Buch aus. Es geht uns nicht um die antiaufklärerische „Entlarvung“ der Politik als „schmutziges Geschäft“. Vom Phänomen des Rücktritts aus betrachtet, haben wir vielmehr versucht, ein facettenreiches Sittengemälde bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte zu zeichnen. Dass dabei auch die Skandale und Affären der Republik ihren gebührenden Platz finden, kann nicht ausbleiben. Aber: sie sind nicht alles.

Etliche Rücktritte erregten die Gemüter. Wenige, wie der von Bundeskanzler Willy Brandt 1974, haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Republik eingebrannt. Viele sind längst vergessen. Nicht selten zu Unrecht. In diesen Fällen haben wir sie wieder aus dem Nebel der Vergangenheit hervorgezogen. Manchmal aber auch zu Recht. Reinhard Rauball ist ein erfolgreicher Fußballfunktionär. Dass der Präsident des deutschen Meisters Borussia Dortmund Ende der neunziger Jahre einen kurzen wie erfolglosen Ausflug in die Politik wagte, ist heute nur noch eine belanglose Randglosse. Rauballs Scheitern als Justizminister in Nordrhein-Westfalen nur wenige Tage nach seiner Ernennung sorgte seinerzeit für heftige Schlagzeilen. Häufig lässt sich erst in der Rückschau die wirkliche Bedeutung eines Rücktritts ermessen. Karl-Theodor zu Guttenbergs Abgang im März 2011 bewegte die Republik. In zehn, zwanzig Jahren wird er möglicherweise nur noch als Fußnote verbucht sein. Horst Köhlers Rücktritt wird in Erinnerung bleiben, weil er der erste „mit sofortiger Wirkung“ vom Bundespräsidentenamt war. Aber wird auch Köhler in Erinnerung bleiben?

Die Liste der Politiker, die in der Geschichte der Bundesrepublik zurückgetreten sind, ist so lang wie facettenreich. Manche verschwanden in der Versenkung. Andere schafften das Comeback, wie Gustav Heinemann oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Ihre Beispiele belegen auch, dass, wer sein Amt niederlegt, damit noch nicht automatisch seine Reputation verliert. Von A wie Konrad Adenauer bis Z wie Walter Zuber: In der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es bislang mehr als 330 Rücktritte aus Bundes- und Länderregierungen. Am Ende des Buches haben wir sie in einer tabellarischen Übersicht aufgelistet. Alleine im Zeitraum vom erstmaligen Erscheinen unseres Buches bis zu dieser Neuauflage sind 45 Rücktritte hinzugekommen. Wir haben uns darauf konzentriert, zu sortieren, einzuordnen und Zusammenhänge aufzuzeigen. Enzyklopädische Vollständigkeit ist deshalb nicht unser Anspruch, eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme schon. Jede Demission ist ein solitäres Ereignis, jede hat ihren eigenen Grund und Anlass. Doch es gibt immer wieder Parallelen. Sie zu erkennen, hilft bei der Bewertung ebenso, wie die Herausarbeitung der Unterschiede. Die Analyse von Rücktritten ist immer auch eine spannende Analyse von politischen Prozessen, die mit ihnen verbunden sind, bisweilen jedoch im Verborgenen ablaufen.

Vor mehr als fünf Jahren erschien im Econ-Verlag die erste Ausgabe unseres Buches. Seitdem hat sich die politische Landschaft gehörig verändert. Im Frühjahr 2006 war in Berlin noch die Große Koalition am Werk. In Hamburg und Hessen regierten Ole von Beust und Roland Koch jeweils mit absoluter Mehrheit. Der SPD-Vorsitzende hieß Matthias Platzeck, Lothar Bisky stand der Linkspartei vor und Guido Westerwelle war kein Außenminister, aber dafür noch Chef der FDP. Kaum jemand jenseits der Union kannte den Namen von Karl-Theodor zu Guttenberg. Wäre damals jemand auf die Idee gekommen, die Dissertation des Bundestagshinterbänklers mit den guten Manieren nach Plagiaten zu durchforsten, hätte er schlechte Karten gehabt: Sie war noch gar nicht geschrieben. Seinen inzwischen wieder aberkannten Doktortitel bekam der fränkische Adlige erst ein Jahr später verliehen.

Es ist also höchste Zeit für eine gründlich überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe. Wir danken dem traditionsreichen Bonner Verlag Bouvier, dass er uns diese Möglichkeit gegeben hat.

Pascal Beucker, Frank Überall

September 2011


Bouvier Verlag